"Der HSV war nicht in der 1. Liga, aber der HSV war nie weg"

Dr. Max Burda hatte Fingerspitzengefühl. Nach exakt 90 Minuten beendete der Schiedsrichter am Samstagabend ohne Nachspielzeit eine Partie, die Hamburgs Fans längst von den Sitzen gerissen und an den Spielfeldrand getrieben hatte. Wenige Augenblicke nach dem 6:1 gegen Ulm begannen "Verlängerung" und Ausnahmezustand.
Frisch "geduscht": HSV-Trainer Merlin Polzin, kurz nachdem er auf der Pressekonferenz mit Bier übergossen wurde. IMAGO/Matthias Koch
Der Rasen war von Zehntausenden geflutet, und Daniel Heuer Fernandes, der sich auf das Dach der Trainerbank gerettet hatte, musste erleben, dass das Blech bedenklich nachgab und einzustürzen drohte. Rund eine Stunde zuvor war es der HSV-Keeper, der seine Mannschaft vor einem möglichen Einbruch bewahrte. Nach nervösem Beginn und Blitz-Rückstand hatten sich die Hamburger gegen früh pressende Ulmer mit dem 1:1 zwar zurück ins Spiel gekämpft, sie hatten aber noch lange nicht zurück zu ihrem Spiel gefunden, als der Routinier in Minute 36 den Elfmeter von Semir Telalovic hielt. Es war der Wendepunkt an diesem denkwürdigen Abend. Und die vielleicht entscheidende Parade zum Aufstieg, dem nach Abpfiff die Ekstase folgte.
"Jetzt wollen wir die Saison auch als Erster beenden"Als die Spieler den Weg durch die Massen in die Katakomben gefunden hatten, tauchten sie schließlich auf dem Balkon des VIP-Bereichs wieder auf, nacheinander ergriffen Davie Selke ("Endlich ist der HSV wieder da, wo er hingehört"), Ludovit Reis, Eigengewächs Otto Stange und Robert Glatzel das Wort, intonierten lautstark und euphorisiert Fanlieder. Den Siedepunkt erreichte die Stimmung aber als der Trainer das Wort ergriff: Merlin Polzin ist als "Kind der Nordtribüne" ohnehin ein Fanliebling, in seinem bisher größten Moment als Trainer schaffte es der 34-Jährige, Emotionalität mit Demut zu paaren. Das gelang dem gebürtigen Hamburger auch auf der anschließenden Pressekonferenz, die er nicht ohne Bierdusche durch seine Spieler überstand. "Ich bin dankbar, dass wir diesen unbeschreiblichen Abend erleben dürfen." Vor allem er hat ihn mit der Aufholjagd von Platz 8 bei der Amtsübernahme im November bis hin zum Aufstieg ermöglicht.
Polzin schildert gefühlvoll, was dieser Abend für ihn ganz persönlich bedeutet. Nach der Partie habe er es geschafft, zu seiner Familie zu gelangen. "Ich hatte meinen Bruder im Arm, er hatte Tränen in den Augen. Das bedeutet mir alles." Er ist HSVer durch und durch und sagt: "Der HSV war einige Jahre nicht in der 1. Liga, aber der HSV war nie weg." Er deutet jedoch an, dass er nicht nur eine emotionale, sondern auch eine "laute" Seite hat. "Jetzt", gab der Aufstiegstrainer die Parole um kurz vor Mitternacht vor, "reißen wir erst das Stadion ab und dann die Stadt."
Nach den Feierlichkeiten soll aber noch ein Erfolg folgen. Am kommenden Sonntag in Fürth. "Unser Mindset ist: Wir trainieren nicht, um Zweiter zu werden", verkündet Polzin. Nach dem Aufstieg soll bei den Franken nun auch die Meisterschaft eingefahren werden. "Wir werden jetzt feiern, aber wir wollen diese Saison auch als Erster beenden."
kicker